Aus die Maus!

Foto - Bewohner vor dem HausKnapp 3 1/2 Jahre und lediglich 46 Logs später ist es nun um das verlassene Haus #10, Highlight einer kleinen Serie, geschehen. Der Bagger für den Abriss steht bereit und das Haus wurde schon seiner Einrichtung beraubt.

Während ein normaler Multi die Location vermutlich innerhalb kürzester Zeit verbrannt hätte, war die Entscheidung einen Challenge-Cache daraus zu machen, genau richtig. 2008Das Ziel war, nur den wirklich LP-Interessierten dieses Kleinod an morbidem Charme zu zeigen und das war ein Erfolg. Nicht oft findet man einen vergleichbar eingerichteten Lost Place und bereits in der Vorbereitung konnte ich durch unzählige Unterlagen recht viel über die ehemaligen Bewohner erfahren. *

Das Haus
2008Das Haus wurde 1885 gebaut und bis 2005 bewohnt. Der Zustand des Hauses lässt aber darauf schließen, dass schon vor 2005 nur wenig in und am Haus gemacht wurde. Aus Bauunterlagen ging hervor, dass im Jahr 1961 der hintere Teil angebaut wurde, was man besonders auf dem Dachboden gut erkennen konnte.

Die Bewohner
2008 - FotosBei diesem Haus konnte ich einiges über die ehemaligen Bewohner herausfinden. Anhand von Dokumenten und einem Tagebuch mit ein paar Einträgen bin ich auf einige interessante, wie auch recht bedrückende Dinge gestoßen.
Emma Mayer geb. Müller wurde im Februar 1918 geboren und die Schwester der leiblichen Mutter adoptierte das uneheliche Kind. 2008 - Bilder auf dem zugewucherten DachbodenIm Oktober 1940 hat Emma ihren ersten Mann, Horst Sommer, geheiratet. 1944 wurde der Sohn Hans Sommer geboren. Das Familienglück währte aber nicht lange. Horst Sommer starb in Gefangenschaft in Russland und wurde im Juli 1947 für tot erklärt. Ein paar Jahre darauf heiratete Emma ihren zweiten Mann, Rudolph Ernst, der allerdings 1975 im Alter von 49 Jahren verstarb. 1955 wurde der zweite Sohn, Hans Jürgen Ernst, geboren.
2008 - FotosBis zum Tod von Emmas Adoptivmutter, Pauline Müller, wohnten sie zu viert in der kleinen Wohnung in Fellbach. Der jüngere Sohn hat an der Fachhochschule Stuttgart Gartenbau studiert und hat am Ende nicht mehr in dem Haus gewohnt. Hans Sommer hat seine Ausbildung abgebrochen, sich mit Aushilfsjobs durchgeschlagen und sein Glück im Alkohol gesucht.

Das Tagebuch
2008 - TagebuchVon ihrer Freundin Hella bekam Emma im Jahr 1985 ein Tagebuch geschenkt. Leider gibt es dort nur ein paar Einträge zwischen Weihnachten 1985 und Februar 1986, schließlich noch einen Eintrag vom 28.12.1987 und trotzdem bekommt man einen kleinen Einblick in das Leben der Familie. In diesen Tagebuch wird beschrieben, dass die Söhne ihrer Mutter das Leben schwer machten, sie beschimpften und demütigten. Weihnachten und Silvester 1985 verbrachte Emma alleine, keiner ihrer Söhne kümmerte sich um sie. Ein Jahr darauf hatte sich an der Situation nichts geändert.

Das Ende
Im Februar 1990 ist Emma dann verstorben und wurde im Familiengrab beigesetzt. 2008 - FotoDas Grab konnte ich nach etwas suchen entdecken, aber es hat sich schon seit Jahren/Jahrzehnten keiner mehr darum gekümmert. Hans Sommer ist, wie ich im Nachhinein erfahren habe, Ende 2005 beim Brand im Obergeschoss ums Leben gekommen. Seitdem stand das Haus beinahe unberührt inmitten der Stadt und das Efeu versteckte langsam aber sicher die Fassade.

Der Cache
Eine kleine, teilweise auf Tatsachen beruhende Geschichte mit eher nachdenklichem Unterton führte quer durch das Haus bis zum Final.

Dienstag 01. Januar 1986 0.33 Uhr
Emma steht in ihrer Waschküche und füllt Wäsche in die Waschmaschine. Den Silvesterabend hat sie alleine mit ihrer Katze Frida verbracht. Ihre beiden Söhne haben sich schon seit heute morgen nicht mehr blicken lassen. Traurig schaut sie auf und greift zu der kleinen Plastikwaschmitteldose auf dem Regal an der Wand. „Auch wieder fast leer“, murmelt sie.

Nachdem sie die Waschmaschine angeschaltet hat, löscht sie das Licht und geht in die kleine Küche. „Selbst die Feuerwerkskörper von Hans liegen noch herum“ denkt sie. Zittrig holt sie die Deckel aus dem Schrank und schließt die Töpfe auf dem Herd. Gegessen hat sie noch nichts, nach all dem Ärger mit ihren Söhnen heute früh ist ihr der Appetit vergangen. Sie beschließt ins Bett zu gehen und wirft beim Hinausgehen noch einen Blick auf die Wanduhr.

Gerade in dem Moment fällt ihr ein, dass sie noch ein frisches Glas Senf aus dem Keller holen wollte. „Wenn Hans morgen selber in den Keller muss, ist wieder der ganze Tag versaut.“ Langsam steigt sie die Treppe in den Keller hinab. Kühle modrige Luft umhüllt sie. Nach kurzem suchen entdeckt sie den Senf in der hintersten Reihe.

Auf der Treppe nach oben entdeckt sie noch die Konserven. „Die muss ich auch noch in den Keller bringen, aber das reicht morgen auch noch“. Oben im Flur angekommen bemerkt sie, dass der Fernseher noch läuft. Frida liegt auf ihrem Kissen auf der Eckbank und schaut sie mit treuem Blick an. „Wenigstens du bist mir geblieben…“. Liebevoll streichelt sie ihre schnurrende Katze und begibt sich dann in das Wohnzimmer um den Fernseher auszuschalten. Als der Ton verstummt bemerkt sie, dass die Uhr über dem Fernseher nicht tickt. Sie greift sich das gute Stück um sie aufzuziehen.

Nachdem sie die Uhr wieder aufgezogen und das monotone ticken wieder eingesetzt hat streichelt sie nochmals Frida, stellt das Senfglas in die Küche und geht dann die Stiege hoch in den ersten Stock. Ihre Blasenentzündung macht ihr wieder zu schaffen, aber das Penicillin vom Doktor beginnt langsam zu wirken. Im Vorbeigehen schaut sie ihre zersausten Haare im Spiegel an, biegt um die Ecke und geht auf die Toilette. Gerade als sie die Toilettentür wieder schließen will, bleibt ihr Blick am Bild an der Wand hängen. Sie kann den Duft der Frühlingswiesen fast noch riechen, obwohl es schon viele Jahre her ist, dass sie dort wandern war. „Ach, war das eine schöne Zeit, sie ging und kam nie wieder.“

Mit hängenden Schultern geht sie wieder den Flur zurück in ihr eigenes kleines Zimmer, neben dem sich ihr Schlafzimmer befindet. Gerade als sie sich fürs Bett richten will, fällt ihr wieder der Taubenschlag ein. Es sind zwar Hans Jürgens Tiere, aber die können ja nichts dafür, dass er sich nicht um sie schert.
„Die Viecher tun mir Leid“ seufzt sie, als sie ihre Hausschuhe wieder anzieht. Da das Licht auf dem Dachboden immer noch defekt ist, nimmt sie die kleine blaue Taschenlampe aus dem Schränkchen und schaltet sie an.

Langsam geht sie die knarrende Stiege auf den Dachboden hinauf. Auf den letzten Stufen kommt ihr der Geruch von den Tauben entgegen. Im Schein der Taschenlampe stellt sie den hölzernen Futtertrog in den Taubenschlag, worauf sich die gurrenden Tauben gierig stürzen. Sie schließt den Verschlag wieder und wie so oft in letzter Zeit schaut sie sich wieder die Hochzeitsbilder ihrer ersten Hochzeit an. „Dieser sinnlose Krieg…“
Bevor sie endgültig ins Bett geht, nur um noch einige Stunden wach zu liegen und immer in der Hoffnung einer ihrer Söhne kommt doch noch nach Hause, steckt sie den leeren Taubenfuttersack in den schwarzen Mülleimer im anderen Teil des Dachbodens.

2008 - Es ist noch Suppe da!Eines ist sicher: Das Haus #10 wird mich immer an „Es ist noch Suppe da“ erinnern. Während die Wurst im Kühlschrank vermutlich recht schnell das Zeitliche gesegnet hatte, hat der Deckel auf dem Topf die Köstlichkeit aus der Vergangenheit einwandfrei konserviert… fast so, als wäre sie erst gestern zubereitet worden.

*Alle Namen, Orts- und Zeitangaben wurden in diesem Artikel verändert

Autor:
Datum: Freitag, 4. November 2011 20:30
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10 Kommentare

  1. 10

    @Gran Paradiso: Das Schloss hab ich erst dran gemacht, als ich von dem Dekoschwund mitbekommen hab. Danach war dann Ruhe… ;-)
    Neue Locations gerne per Mail. Anschauen werd ich ihn mir, bedosen eher nicht. Es sind mittlerweile so viele Cacher, dass die LPs schneller verbrannt sind als dass sie entstehen können. :-/

  2. 9

    Schade das dieser tolle Lost Place nicht mehr steht :(
    Wobei Ich ganz froh drüber bin … Nach dem ich diesen Lost Place an JR weiterreichte und er diesen mit einem Schloss verriegelte (was ich für eine sehr gute Idee gehalten hatte) verschwand mit der zeit recht viel Einrichtung aus dem Haus unter anderem Bilder und eine Schreibmaschine :( was mich doch sehr ärgerte :( ich will natürlich keinem etwas unterstellen aber schon schade dass sowas passiert :(

    @JR: Falls du wieder nen neuen LP hier im Umkreis gebrauchen könntest kannst dich gerne melden :)
    Wäre diesesmal ne Fabrik mit Wohnhaus :) dieser ist bisher zu 100% ohne Dose :)

    Gruß Gran P.

  3. 8

    Auch wir waren froh, dass wir kurz vor der Schließung des LP´s noch die Möglichkeit hatten, diesen zu besuchen :) .
    Es war wirklich ein würdiges Finale der verlassenen Häuser-Serie. :bravo:
    Wir hoffen, dass es irgendwann mal wieder ein LP dieser Qualität von Jürgen gibt (ach da fällt mir ein: 2017 – Ölav-Cache haben wir das Rätsel schon gelöst, hatten aber noch keine Zeit zum helfen :roll: ). Aber wir sind sicher, dass das auch wieder ein klasse LP von dir ist. Und was uns schon lange interessiert (was wir dich aber dann unter 4-6 Augen mal fragen wollen: wie kommst du immer zu solchen LP´s?

    Auf jeden Fall nochmals großes Lob von uns.

  4. 7

    stimmt da war noch was. Schade. Aber leider rutscht einem im Leben immer mal wieder eine Perle aus dem Focus :ups:

    Aber das schöne ist, dass hier ein LP mal nicht durch blau-silber zugemacht wurde :D

  5. 6

    Schade um die wirklich tolle Location :o
    Wie weit wir nur gefahren sind, um diesen Cache zu machen. Ja die Entscheidung war es wirklich wert diesen als Challenge zu gestalten. ;)
    Gibt es denn mal wieder „neue“ verlassene Häuser?
    Ich hoffe doch sehr

  6. 5

    @Hannes: Sofern die angegebene Emailadresse korrekt ist, hast du eine Mail von mir bekommen. ;-)

  7. 4

    Wie immer eine tolle Fotoserie. Solche Plätze lassen einen immer wieder ins Grübeln kommen. Wie ist die Geschichte dahinter, warum verschwinden die Leute einfach von heute auf morgen, warum kümmert sich anscheinend niemand um die Hinterlassenschaften.
    Besonders schön: das efeuumrankte Hochzeitsbild

  8. 3

    So einen verlassenen Bauernhof habe ich mal in der Nähe von beckum besichtigt. Da lag auch noch die ungelesen tageszeitung von 1995 auf dem Tisch. ASngbrochen lebensmittepackungen standen auf dem Schrank.
    Irgendwie fühlten wir uns hier alle aber nichtbesondes wohl, da man immer das Gefühl hatte hier gehörte man nicht hin. Trotzdem war das ein sehr interessantes Erlebnis. leider wurde dieser LP durch Cacher zerstört die unbedingt nachts lärmend hier umher zogen.

  9. 2

    Ist schon eine Seltenheit, so ein verlassenes Haus, einfach so noch durch Paintballspieler unbearbeitet. Auch gute Fotos, worauf man so manches Detail gut erkennen kann.

  10. 1

    Ich war einer der 46 Logger und kann mich noch gut an diesen Tag erinnern,
    als ich mittags extra nach Ulm (200km -> Haus #6) fuhr, um abends mit Baerendreck dieses denkwürdige 10er-Haus aufzusuchen. Es hat lange
    gedauert, bis ich das hier erlebte verdaut hatte.
    Jetzt hat Emma endlich ihre ewige Ruhe gefunden. R.I.P